Bueroleerstand

Büroleerstand – ein Krebsgeschwür

(1) Jedes Bürohaus , das gegenwärtig gebaut wird, steht entweder selbst leer oder an seiner Stelle wird über kurz oder lang ein anderes Haus im Bestand leer stehen. Mittlerweile werden die verlassenen Gebäude immer jünger. Längst sind die leergezogenen Häuser keine Grenzhäuser mehr, Häuser also, die am Ende ihres Produktlebens angekommen wären. Inzwischen gibt es Büroneubauten, die noch nie einen Mieter gesehen haben. Immer weniger Mieter verteilen sich auf immer mehr Objekte. Der Leerstand wird immer größer. Nichts scheint ihn begrenzen zu können – und zu wollen! Bei einer extremen Überversorgung wirken Neubauten auf den Bestand wie Krebszellen, die sozusagen gesundes urbanes Gewebe befallen, das mit jedem neuen Neubau weiter auswuchert, allmählich verödet, und schließlich in einer Abriß-Operation entfernt wird. Allerdings ist im Gegensatz zum humanen der urbane Krebs heilbar.

(2) Auf welche Flächengröße der Leerstand inzwischen in Dortmund angewachsen ist, weiß niemand zu sagen. Überall in der Stadt ist der Leerstand zwischenzeitlich zu sehen, aber niemand kennt signifikante Zahlen oder weiß zu sagen, woher die Zahlen stammen, von denen er selbst ausgeht und die er als kompetent geltender Protagonist der Szene an Dritte weitergibt. Jeder nennt die Zahlen, wie sie in die eigenen Interessen passen. Und kann man der Bauwirtschaft zum Vorwurf machen, dass sie eher an Zahlen der eigenen Auslastung interessiert ist als an Bedarfszahlen der gesellschaftlichen Immobilienversorgung, zumal das doch auch eine Frage sein sollte, die der Markt selbst zu regulieren hat !? Solange die Neubauten ihre Mieter finden, solange sollte man auch von einem am Markt wirksamen Bedarf ausgehen können !? Auch die Stadtväter der einstigen Montan- und Bierstadt sehen mit viel Stolz und Freude auf den gelungenen Strukturwandel in neue städtische und ökonomische Strukturen, so dass sie sich diese Freude auch nicht trüben lassen wollen mit einem genaueren Blick auf die stetig wachsenden Leerstände. Und solange sich ja auch niemand wirklich aufregt ?!

(3) Bei Kommunen und Bauwirtschaft ist ein Problembewusstsein für die wachsenden Leerstände kaum vorhanden. Das muss verwundern angesichts der über alle Maßen exorbitanten gesellschaftlichen Schäden, die mit Leerständen dieses Ausmaßes verbundenen sind. Jeder weitere Büroneubau führt bei der gegenwärtigen Überversorgung an Büroflächen zu einer kontraproduktiven Bedienung der gesellschaftlichen Ziele. Das heißt, dass bisher erreichte ökonomische, ökologische und soziale Zielwerte wieder verloren gehen. Das gesellschaftliche Gemeinwohl wird durch das herkömmliche flächenmehrende Bauen nicht nur nicht gesteigert, es wird auf allen drei Zielebenen verringert.

(3-1) In der ökonomischen Analyse kann gezeigt werden, dass mit jedem weiteren Büroneubau in Wirklichkeit nur Geld verbrannt wird. Das in den Neubau investierte Kapital ist zunächst mal weg und dazu kommt der endgültige Kapitalverlust des durch den Neubau verursachten Leerstands. Hat der Neubau seinen Beitrag zur Auslastung der Baukapazitäten geleistet, so wird auch er bald nur noch Mieterreservoir sein, aus dem sich neue Neubauten wieder mit Mietern bedienen werden. Die in den Immobilien gebundenen Kapitalwerte sind Teil der finanziellen Fundamente der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Ihre Wertstabilität ist von entscheidender Bedeutung für das Funktionieren freiheitlicher Wirtschaftssysteme und somit letztlich auch für Ihr Überleben. Einen zukunftsfähigen Bahnhof auf Kosten nachfolgender Generationen zu bauen, das kann ökonomisch durchaus erklärt werden, wie aber kann man den späteren Generationen erklären, dass ebenso auf ihre Kosten die ohnehin knappen materiellen Ressourcen für den Bau leer stehender Häuser verwendet werden, von dem sie im Gegensatz zum Bahnhofsprojekt nicht einmal was zu sehen bekommen, weil sie nach intensiver Verödung freilich auch auf ihre Kosten abgerissen wurden ? Würde eine weiter auf Neubau geeichte Bauwirtschaft sich bis zum geht nicht mehr auf Kosten der gesamten Gesellschaft in unveränderter Weise so, wie sie ist, erhalten wollen, so wird ihr das letztlich auch nichts nützen – weil das niemanden mehr nützen würde.

(3-2) In der ökologischen Analyse wird sichtbar, dass angesichts der Überversorgung eine überwiegend auf Neubau ausgerichtete Bauwirtschaft alle Postulate des nachhaltigen Bauens komplett auf den Kopf stellt. Die Nutzungszeiten von Gebäuden werden immer kürzer statt länger. Die endlichen Stoff- und Energiebestände werden beschleunigt abgebaut statt für nachfolgende Generationen geschont zu werden. Die CO2-Belastungen werden rapide erhöht, statt verringert. Der energetische Nutzen von Neubauten ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein und dient in jüngerer Zeit als verbessertes Alibi dafür, einen Neubau der Gebäudesanierung vorziehen zu müssen.

(3-3) In der soziologischen Analyse zeigt sich, dass eine flächenmehrende (statt flächengestaltende) Bauwirtschaft nicht nur Kapital- sondern auch Humanwerte unwiederbringlich vernichtet. Durch den allmählichen Leerzug werden Häuser und ganze Stadtbezirke für Mieter unattraktiv und veröden über kurz oder lang. Mit der Verödung gehen gewachsene Urbanstrukturen verloren, mit ihnen historische Werte, Herkunft, Heimat, Familie. Arbeitsplätze gehen in der Gegenwart und in der Vergangenheit verloren. Durch Leerstand werden die in der Vergangenheit geleisteten Arbeitsstunden auf Null entwertet, was gewissermaßen einer Arbeitslosigkeit ex post gleichkommt. Aber auch in der Gegenwart würde ein arbeitsintensives flächengestaltendes Bauen mehr Arbeitskräfte beschäftigen, als ein flächenmehrendes kapitalintensives Bauen.

(4) Obwohl diese Thesen kaum mehr umstritten sind und fast täglich in den Medien kommuniziert werden, scheint das Beharrungsvermögen in den über Generationen gewachsenen Systemen, in denen die gesellschaftlichen Prozesse ablaufen, unerschütterlich – als wenn die Systeme selbst das Sagen übernommen hätten, und die kommerziell von ihnen abhängigen Menschen nur noch ihre Marionetten wären. Dabei gibt es Lösungen, die umzusetzen durchaus möglich wären, denn …

… all diese verheerenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Wirkungen würden nicht eintreten, wenn die Bauwirtschaft incl. ihrer Bildungsinstitute das Steuer rumwerfen würde von den Arbeitsfeldern des flächenmehrenden Bauens (Neubau) zu den Arbeitsfeldern des flächengestaltenden Bauens (Bestandsbau, Bauen im Bestand).

(5) In der Problemanalyse wird allerdings evident, wie gravierend unterschiedlich die spezifischen Besonderheiten der Arbeitsfelder des Neubaus zu denen des Bestandsbaus sind. Es wird deutlich, dass ein solcher Strukturwandel die Problemdimension eines Quantensprungs hat, verbunden mit einem Paradigmenwechsel, also mit dem Umdenken in eine neue geistige Orientierung der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen. Das gilt in besonderem Maße für die stoff- und energieintensive Bauwirtschaft, gerade weil sie den Ruf hat, größter Umweltschädiger mit der geringsten Veränderungsbereit-schaft zu sein. Um so entschlossener müssen Überzeugungen und Bemühungen sein, denn es gibt zu diesem notwendigen Strukturwandel keine Alternative und auch keine Zeit mehr noch langen Nachdenkens und Zuwartens.